KOLLE – Kollektiv Leben

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Einige Mitglieder des neuen Griesheimer Wohnkollektivs KOLLE

Das neue Griesheimer Wohnkollektiv Kolle stellt sich vor

 

Das Interview führten Maximilian Förtner vom Quartiersmanagement Griesheim und Sonja Schindler vom Fema – Treffpunk für Mädchen und Frauen mit Fabs von Kollektiv Leben – kurz Kolle, einem gemeinschaftlichen Wohnbauprojekt, das in der Schöffenstraße in Griesheim ein Haus für ca. 40 Personen bauen wird.

 

Maximilian: Ihr werdet in Griesheim gemeinschaftlich bauen und wohnen. Erzähl doch mal was über Kolle.

Fabs: Wir haben uns im Konzeptverfahren mit der Stadt Frankfurt durchgesetzt und die Zusage, in der Schöffenstraße in Griesheim-Süd ein gemeinschaftliches Wohnbauprojekt für 40 Personen umsetzen zu dürfen. Dadurch, dass wir als Teil des Mietshäuser Syndikats bauen, wird das Haus dauerhaft durch die Mieter*innen verwaltet. Neben Wohn- und Gemeinschaftsräumen für die Mieter*innen sind für das Erdgeschoss Räume geplant, die für die Nutzung durch Initiativen und Interessierte aus dem Stadtteil zur Verfügung stehen sollen. Geplant sind Begegnungs- und Beratungsräume, aber auch Kreativräume.

Maximilian: Ihr habt euch entschieden, mit dem Mietshäuser Syndikat zu bauen. Welches Selbstverständnis oder welche Motivation steht dahinter?

Fabs: Das Mietshäuser Syndikat, das seit vielen Jahren schon Projekte wie unseres betreut, hat eine Struktur, mit der ein Haus nicht mehr veräußerbar ist. Das heißt, dass mit dem Haus nicht mehr spekuliert werden kann. Es gibt einen Hausverein, in dem die Mieter*innen Mitglied sind. Dieser Verein und der des Mietshäuser Syndikats sind zu je 50% an der Haus-GmbH beteiligt. Durch diese Beteiligung zu gleichen Teilen wird verhindert, dass beispielsweise Mieter*innen die Veräußerung des Hauses beschließen können. Gleichzeitig ermöglicht es den Mieter*innen, das Haus selbständig zu verwalten und zu entscheiden, was in dem Haus passiert. Dieses System soll dazu beitragen, dass mit Wohnraum nicht mehr spekuliert werden kann und er entprivatisiert ist. Es gibt mehr als 150 Wohnprojekte in Deutschland, die zum Mietshäuser Syndikat gehören. Wir haben uns für diese Struktur entschieden, weil es uns wichtig war, dass wir kein Haus bauen, das dann irgendwann zu einem Spekulationsobjekt werden kann, teuer aufgekauft und anders verwertet, abgerissen wird oder Ähnliches. Wenn das Haus einmal steht, steht es da und gehört den Mieter*innen und das hoffentlich auch noch in einhundert Jahren, sofern es kein großes Erdbeben gibt. Außerdem müsste das Gesetz geändert werden, sodass die Verpachtung der Stadt nicht auf 99 Jahre begrenzt ist 😊 Andere Optionen sind denkbar.

Maximilian: Hat denn Kolle als Verein nochmal ein eigenes Selbstverständnis? Verfolgt ihr bestimmte Ziele und was wären diese Ziele speziell in Griesheim?

Fabs: Wir haben das Grundstück jetzt seit 2019 und wollen nach derzeitigem Stand im Dezember 2023 endgültig einziehen. Uns ist dabei wichtig, dass wir eine alternative Wohnpolitik ermöglichen können, wo bezahlbare Mieten und ein solidarisches Prinzip möglich sind. Das heißt zum Beispiel, dass Leute, die wenig verdienen, auch weniger bezahlen und Leute die mehr verdienen, mehr bezahlen. Außerdem wollen wir Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, in denen Menschen sich verwirklichen können. Es soll ein Ort sein, der antirassistisch und feministisch geprägt ist und der auch barrierefrei ist. Mit diesen Ideen und Überzeugungen wollen wir in den Stadtteil wirken, auch über die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen, denen wir unser Haus zur Verfügung stellen. Wir sind auch an einer sehr starken Vernetzung im Stadtteil interessiert. Das solidarische Leben, das wir leben, soll auch jenseits von der Architektur Veränderungen schaffen. Das größere Ziel dahinter ist, zu zeigen, wie solidarisches Leben im Stadtteil möglich ist. Damit wollen wir von linker Symbolpolitik weggehen und etwas machen, was konkret den Alltag im Stadtteil verändern kann

Sonja: Wie sieht es denn aktuell bei euch aus: ihr baut für 40 Personen – seid ihr schon vollständig, zieht ihr alle selber dort ein oder sucht ihr noch nach Leuten für euer Projekt?

Fabs: Wir sind jetzt 25 Personen. Das heißt, es werden wahrscheinlich noch zwei Aufnahmeverfahren stattfinden. Es gab die Gründung der Gruppe 2018 und seitdem gab es zwei Aufnahmeverfahren, bei denen neue Leute dazukamen. Wir sind gerade schon dabei, das nächste Verfahren zu planen. Wir sind also offen für neue Leute, die sich bewerben, weil sie Bock darauf haben, mitzumachen. Die werden dann Teil der Gruppe, sodass wir dann am Ende 40 Leute sind. Es kann auch sein, dass wir am Ende nicht ganz 40 Personen sind die einziehen und wir dann spontan sehen werden, wer noch dazu kommen kann. Wenn das Haus mal steht, wird es ja sowieso so sein, dass einzelne Personen aus WGs ausziehen und andere dafür einziehen, die sich so bewerben, wie man sich auch bei anderen WGs bewirbt. Jetzt, wo wir planen und bauen, ist das natürlich eine Gruppenentscheidung, wer in die Gruppe aufgenommen wird.

Beim nächsten Aufnahmeverfahren ist Diversität für uns ein ganz wichtiger Punkt. Momentan haben viele Leute in der Gruppe einen akademischen Hintergrund und die Gruppe ist auch überwiegend mit weißen Personen besetzt. Das ist nicht nur hinsichtlich unserer eigenen Grundsätze problematisch, wir wünschen uns auch in der Gruppe ein bunteres und vielfältigeres Zusammenleben. Daher ist es uns bei der nächste Aufnahmephase sehr wichtig, spezifisch darauf zu gucken, wie die Gruppe selber diverser werden kann, zum Beispiel auch generationenübergreifend. Es sind schon einige Kinder in der Gruppe, wir wollen aber gern auch einige ältere Menschen dabei haben.

Sonja: Wie kann man denn teilnehmen am Auswahlverfahren?

Fabs: Wir werden das dann auf jeden Fall auf verschiedenen Kanälen wie Insta oder auch über E-Mail-Verteiler, gern auch mit eurer Unterstützung, bewerben. Gerade sind wir noch dabei, Informationen einzuholen. Dafür wollen wir mit verschiedensten Leuten sprechen und sie fragen, was für sie gegeben sein müsste, damit sie in so ein Haus einziehen. Dadurch wollen wir uns klarer darüber werden, was interessant sein kann. Ein Beispiel: eine Person aus der Gruppe hat erzählt, sie hat mit einer 70-jährigen darüber gesprochen, was sie bräuchte, um bei Kolle einzuziehen. Und dann hat sie gesagt, sie würde nicht mit lauter 30-jährigen zusammenleben wollen, sondern lieber in einer WG mit 70-jährigen. Diese Information bedeutet, dass sich dann vielleicht eine WG mit älteren Menschen finden müsste. Nur als ein Beispiel, was generationenübergreifendes Zusammenleben sein kann. Aber das ist ja übertragbar, zum Beispiel darauf, dass eine PoC-Person vielleicht keine Lust hätte, nur mit lauter Weißen in das Haus einzuziehen. Da ist es einfach gerade wichtig, dass wir mit vielen Leuten in Kommunikation kommen, uns Informationen holen und mal nachfragen, sodass wir dann besser planen können.

Sonja: Das heißt, das Haus ist auch barrierearm geplant?

Fabs: Ja, auf jeden Fall. Jede Wohnung ist zum Beispiel mit einem Rollstuhl zugänglich. Für Menschen mit Behinderung wird es auch eine Wohnung geben, die darauf ausgerichtet ist, dass eine Person mit Rollstuhl dort leben kann.

Eine andere Sache ist, dass wir auch sozialen Wohnungsbau mit drin haben, soweit ich weiß, als erstes Projekt im Mietshäuser Syndikat. Sodass dann Leute mit einem bestimmtem Einkommen über Förderwege auch die Möglichkeit haben, mit im Haus zu wohnen.

Uns war auch wichtig, eine Architektur zu schaffen, die ein alternatives Wohnen außerhalb von heteronormativen Familienstrukturen ermöglicht. Viele Wohnungen, die gerade in Deutschland und weltweit gerade gebaut werden, sind sehr auf heteronormative Familienverhältnisse geprägt und das wollen wir anders machen, indem wir alternative Strukturen ermöglichen. Das beginnt beim Hauskonzept, das von Dreier- bis Neunerkonstellationen alles ermöglicht und bei dem es auch später noch möglich ist, eine Wand einzureißen, um eine Wohnung zu erweitern. So ist es sowohl denkbar, zu dritt als Kleinfamilie dort zu wohnen, als auch in größeren Strukturen – anders, als in den meisten Wohnungen, die so gedacht sind, dass dort ein Pärchen mit Kind einzieht.

Maximilian: Du hast jetzt einige Dinge angesprochen, die für die Planung sicherlich herausfordern sind und waren. Was stellt denn aktuell die größte Herausforderung hinsichtlich der Projektumsetzung dar? 

Fabs: Ganz klar war Corona im letzten Jahr für uns eine große Herausforderung. Zum einen, weil wir uns kaum real treffen konnten und auf eine virtuelle, digitale Struktur umgestiegen sind. Wir hatten jetzt kürzlich zum Glück eine Klausur, wo wir uns mal wieder in echt gesehen haben. Das war seit November nicht mehr möglich. Das hat uns ganz schön nach hinten geworfen, auch was das Einsammeln von Direktkrediten angeht, weil wir uns nicht mit Leuten treffen und das besprechen konnten. Alles ging nur digital oder per Telefon und das macht es natürlich viel schwieriger.

Was auch mit Corona einhergeht, ist die Baukostensteigerung, die gerade noch ein Problem für uns ist. Der Materialbedarf ist momentan sehr hoch und dadurch steigen die Baukosten sehr stark, was auch die Kosten bei uns in die Höhe reißt. Wir müssen wahrscheinlich von 10 bis 20 Prozent Kostensteigerung ausgehen, was wirklich viel ist. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, weil wir bezahlbaren Wohnraum ermöglichen wollen. Wir wollen eigentlich auch viel mit recycelten Materialien arbeiten, was aber meistens teurer, bzw. sogar teurer als nicht-recycelt, ist. Da würden wir uns wünschen, dass das stärker gefördert wird.

Dann gibt es bürokratische Herausforderungen. Die typische Bürokratie, wenn man so ein Haus baut, ist recht hoch. Es gibt viele Verhandlungsrunden und Sachen, die man klären muss, zum Beispiel auch mit der Stadt. Manchmal entstehen dann Ergebnisse, die von uns nicht so gewünscht sind oder es wurden Sachen abgesprochen, die im Konkreten nicht eingehalten wurden. Das bedarf auch spontanes Reagieren und einfordern der Absprachen. Dieses typische Hin-und-Her mit Behörden eben, wo man dann schauen muss, dass man am Ende in aller Interesse wieder eine Lösung findet. Das kostet natürlich auch viel Zeit.

Über die Direktkredite eine Million Eigenkapital als Grundlage für den Bankkredit zusammenzubekommen, war auf jeden Fall auch eine Herausforderung für uns, aber wir haben es trotz Corona geschafft und es ist wirklich super, dass uns so viele Leute finanziell unterstützt haben und unsere Vision mit uns mittragen wollen.

Eine weitere Herausforderung ist natürlich, sich als Laien in so ein Bauprojekt einzuarbeiten. Wir sind ja alle keine Architekten, Bauherrinnen oder sowas. Es hat noch niemand von uns ein Haus gebaut in seinem Leben. Das ist auch ein Bereich, wo man sich mit ganz vielen Sachen auseinandersetzen muss.

Maximilian: Gibt es denn bei den Herausforderungen noch Dinge, wo ihr Unterstützung aus der Griesheimer Gesellschaft heraus brauchen könntet? 

Fabs: Auf jeden Fall sammeln wir immer noch Direktkredite ein, wenn also jemand das Projekt finanziell unterstützen möchte, freuen wir uns darüber. Je mehr Direktkredite wir haben, desto weniger Bankkredit müssen wir aufnehmen und das wirkt sich am Ende positiv auf die Höhe der Miete aus, weil wir die Zinszahlungen an die Bank damit niedrig halten können. Außerdem suchen wir auch immer weiter Direktkredite, weil Leute, die anlegen, ihr Geld ja auch irgendwann wieder raushaben wollen und dann schichten wir über neue Kredite um. Deswegen ist das eine Sache, bei der wir immer glücklich sind, wenn Leute uns da unterstützen.

Unterstützung kann aber auch bei politischen Problemlagen sinnvoll sein. Wir müssen zum Beispiel schauen, wie wir mit der Baukostensteigerung umgehen. Schön wäre es, in diesem Bereich auch politisch wirksam sein zu können und das globale Problem als ein solches zu begreifen. Da sind wir derzeit in Gesprächen dazu, welches Agieren sinnvoll wäre. Wir freuen uns, wenn Menschen uns unterstützen, indem sie über das, was wichtig für uns ist, sprechen und so Öffentlichkeit für uns schaffen, ist das super.

Wenn das Haus dann mal steht, sind wir natürlich froh, wenn Leute es auch nutzen wollen. Wir sind offen für Ideen, wofür die Räumlichkeiten im Erdgeschoss genutzt werden könnten. Wir wünschen uns da auf jeden Fall Zusammenarbeit im Stadtteil und dass wir die Räumlichkeiten auch nutzen können, um zum Beispiel Angebote für Kinder und Jugendliche zu machen. Ich glaube, das ist auch gerade auf den Stadtteil bezogen und auf Gemeinsam in Griesheim ein wichtiges Anliegen.

Maximilian: Du hast gerade schon Gemeinsam in Griesheim erwähnt. Was bedeutet „Gemeinsam in Griesheim“ denn für euch?

Fabs: Wir teilen auf jeden Fall den Slogan „Wir sind alle gleich wichtig“. Uns ist wichtig, dass es verschiedene Perspektiven im Stadtteil gibt, dass Diversität geschätzt wird. Dass alle gleich wichtig sind, bedeutet auch gegenseitigen Respekt und einen Abbau von Vorurteilen. So verstehen wir als Initiative die Phrase „Gemeinsam in Griesheim“ und auch wie wir gemeinsam in Griesheim sein wollen. Das heißt auch, vernetzt zu sein und Bedürfnisse zu kennen. Gerade für die Planungen für unser Erdgeschoss ist das eine wichtige Sache. Wir wollen wissen, was die verschiedenen Initiativen in Griesheim machen und wie wir da mit dem Haus und mit dem Erdgeschoss unterstützen können. Wir wollen mit den Leuten gemeinsam etwas verändern in der Gesellschaft und nicht allein und abgeschottet in unserem Haus sitzen und niemanden interessiert es, sondern ein Netzwerk schaffen an Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, ähnliche Ziele haben und diese dann auch gemeinsam verfolgen.

Maximilian: Wir haben jetzt viel über Kolle und eure Ziele gehört – gibt es denn etwas, was dir noch wichtig ist?

Fabs: Ja, ich möchte gern noch erwähnen, was besonders viel Spaß macht. Das ist das gemeinsame entwickeln von Visionen, zusammen träumen und den Traum in die Wirklichkeit umsetzen. Das ist besonders motivierend, genau wie die Begeisterung, die alle da reinstecken. Wir sind jetzt schon eine große Gruppe mit mehr als 20 Menschen und alle investieren viel Zeit in das Projekt. Dass so viele mitmachen, motiviert sehr. Und die Vielfältigkeit der Arbeit ist interessant: wir haben eine Bau-AG, eine Gruppenprozess-AG, eine Finanz-AG, Leute, die sich um die Direktkredite kümmern. Es gibt ganz viele Sachen, die gemacht werden müssen und es ist bereichernd, miteinander und voneinander zu lernen.

Maximilian: Vielen Dank für das Interview!

 

 

Max
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